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Die Statik der Meisterschaft


Luca Nicoletti | unsplash | Sieht stabil aus

Hochleistung ist nicht, fleißig sein und am Abend todmüde ins Bett fallen. Hochleistung ist, etwas zu können, das nur sehr wenige Menschen so hinbekommen: besondere Fertigkeiten, extreme Verantwortung, außergewöhnliche Kreativität, Bewältigen von außergewöhnlicher Komplexität, Emotionalität oder Aushalten von extremem Druck.

Hochleistung ist ein schmaler Grat, es bleibt dabei immer etwas auf der Strecke. Zu viele Menschen bezahlen ihre Hochleistung mit einem hohen Preis. Sie brennen aus, ruinieren ihre Gesundheit, zerstören alle ihre Beziehungen oder landen letztlich in Zynismus und Depression. Ab einer gewissen Fallhöhe und Exzellenz schauen wir permanent in diese Abgründe und geraten immer wieder ins Stolpern. Sich immer wieder aufzurappeln ist wichtig, aber irgendwann nicht mehr genug. Irgendwann muss man seine eigene stabile, ausgewogene, ganzheitliche Statik der Meisterschaft gefunden haben. Alleine schon, um das Besondere lange genießen zu können und um gegen die dunkle Seite der Macht die Oberhand zu behalten.


Trainiere die Härte, Erhalte das Weiche.

Es geht an der Spitze gelegentlich sehr rau zu und niemandem setzt das nicht zu. Diese Härte auszuhalten und sie auch bei Bedarf selbst auszuspielen zu können, gehört dazu. Die Kunst ist es, dabei weich und verletzlich zu bleiben. Nur diese Offenheit garantiert langfristig Kreativität, Entwicklung und Kooperation ist. Man benötigt aber gleichzeitig in manchen Situationen die kühle Härte, um den Menschen etwas entgegenzusetzen zu haben, die nur Angst, Zwietracht und Destruktivität verbreiten.
Echte Kämpferinnen und Kämpfer können warmherzig, liebevoll und offen sein, weil sie sich aufgrund ihrer körperlichen und inneren Stärke nie angegriffen fühlen müssen.


Kooperiere und vertraue.

Teile Verantwortung, schließe Allianzen und übe dich darin, die Unterschiedlichkeit auszuhalten. Gib die Zügel nie ganz aus der Hand, aber verlasse dich auf andere. Lerne die Enttäuschungen, die das zuweilen mit sich bringt, auszuhalten.
Der Weg zur Meisterschaft in einer Kampfkunst bedeutet, sich anleiten zu lassen, Vertrauen zu zeigen und dabei das selbstbestimmte und kritische Denken weiter zu stärken.


Hinterfrage deinen Antrieb.

Alles hat seine Zeit, weswegen im Laufe des Lebens immer wieder Antriebswechsel erforderlich sind. Man erreicht durch Ehrgeiz, Geltungsdrang oder den brennenden Wunsch nach Harmonie Außergewöhnliches. Irgendwann aber müssen positive Motive die eher destruktiven Antriebe ablösen. Sinn statt Hamsterrad, echte Ergebnisse, gemeinsame Leistung statt Ego, Stärke statt Harmoniesucht, Herz statt Wut.
Beim Üben einer Kampfkunst hat weder Wut und Geltungsdrang noch Zögerlichkeit und falsche Rücksichtnahme etwas verloren. Bist du zu hart, wird niemand mit dir üben wollen, bist Du zu weich, wirst du andere langweilen.


Manage deine Energie, nicht deine Zeit.

Es gibt drei zentrale Energieverbraucher: die Leistung, die Emotion und die Suche nach Wahrheit. Die Leistung verbraucht Energie, weil sie die Schwerkraft, die Müdigkeit und die Bequemlichkeit überwinden muss. Die eigenen oder die Emotionen anderer zu kontrollieren, auszuhalten und zu überwinden ist der zweite große Energieverbraucher. Und das, was die meiste Energie kostet, ist die Suche nach Wahrheit. Im Alltag ist die Suche nach Wahrheit die Zeit der Entscheidungsfindung, der Planung und die Bewältigung von Konflikten. Vielen Hochleistungsmenschen sind diese Energieverbraucher gar nicht richtig bewusst, geschweige, dass diese Kraftanstrengungen Außenstehenden nur im Ansatz zu vermitteln sind.
Meide alles, was dich unnötig Energie kostet. Meide Menschen, die dich aussaugen, halte Ordnung in deinen Dingen, in deinen Strategien und Taktiken. Beherrsche die Kunst des Rückzugs. Wer die Welt gestalten will, muss sich ab und an aus ihr zurückziehen, um seine Energie zu regenerieren, Erfolge und Niederlagen zu verarbeiten. Dabei hilft der aktive Rückzug mehr als der Rückzug des passiven Konsumierens oder des lauten stillen Status-Symbol-Luxus Retreats. Es entwickelt das Können sich in der Stille. Wer immer erreichbar ist, gehört zum Personal. Eine Kampfkunst kann so ein aktiver Rückzug sein. Etwas, das nur Dir gehört, und du nichts beweisen musst.


Keine Medikamente, keine Drogen, kein Wahnsinn.

Es ist nicht ratsam, Hilfsmittel einzusetzen, um den Druck auszuhalten. Diese Hilfsmittel sind sehr verlockend, verschaffen sie doch Zeit, aber sie verschieben Probleme nur in die Zukunft. Wenn der Druck zu groß ist, verringere ihn, reduziere die Ansprüche und versuche es später erneut. Die Nutzung von Drogen, Alkohol, Zigaretten und Medikamenten ist der Anfang vom sicheren, bitteren Ende. Jede Abhängigkeit, auch die von Anerkennung, Applaus und Erfolg ist eine Sackgasse. Ebenso ist der Wahnsinn als Mittel, der Realität aus dem Wege zu gehen, nicht zulässig. Meide die Gesellschaft derer, bei denen die Verrücktheit zum guten Ton gehört.


Weite den Blick.

Verzicht und Fokus sind unerlässlich, um auf eine gewisse Stufe zu kommen. Irgendwann darfst Du das Leben in seiner Vielfältigkeit aber nicht mehr ausblenden, sondern musst den Tunnelblick der Höchstleistung weiten. Bleibt der Blick zu eng, wird Hochleistung schal und trübe und die ehemals treuen Gefolgsleute wenden sich ab. Weite den Blick und richte ihn in alle Richtungen. Menschen erwarten von denen, die den Ton angeben, dass sie größer denken und fühlen können als die Mehrheit.


Vermeide die Monokultur, stärke die Gegenseite.

Bei außergewöhnlichen Charakteren neigen Stärken gelegentlich dazu, sich ins Negative zu entwickeln und sich dann gegen sie selbst und den ihren Erfolg zu richten. Aus gesunder Härte wird Rüpelei, aus Differenziertheit wird Zaudern, aus Sensibilität wird Chaos, aus Unbeirrbarkeit wird Starrsinn und aus Begeisterung wird der Verlust an Urteilsfähigkeit. Ausgeprägte Stärken brauchen ein Gegengewicht. Es gibt immer zwei Ausprägungen einer Eigenschaft. Eine Seite geht einem leicht von der Hand, die andere nicht. Bist Du eher hart und musst das Nachgeben, Stillhalten üben oder bist Du eher weich und musst das Dagegenhalten, Durchsetzen üben? Bist du kreativ und brauchst das Gegengewicht der Struktur oder bist diszipliniert und brauchst mehr Lockerheit? Brauchst du eher Pläne oder eher Ziele? Wer lange sitzen kann muss die hintere Oberschenkelmuskulatur und seine Hüfte dehnen. Wer kräftig ist, soll die Ausdauer nicht vergessen, wer ausdauernd ist, braucht die Kraft. Wer ständig diszipliniert und kontrolliert ist, muss sich dann und wann auch austoben.
Ruhe dich nicht auf deinen Stärken aus, grab dich nicht in einer Monokultur ein. Die Verantwortung für das Gleichgewicht liegt bei Dir.


Altere in Würde.

Die Trümpfe müssen sich im Laufe des Alters ändern. Während in jungen Jahren das wichtigste Kapital die Energie, die Unermüdlichkeit und die gesunde Respektlosigkeit ist, müssen im Alter Weisheit, Realismus und Gleichgewicht diese Tugenden ablösen. Willst Du nicht zum Clown werden, muss die Abgeklärtheit und Souveränität mit dem Alter wachsen und Effekthascherei und Geltungsbedürfnis schrumpfen. Ab einem gewissen Alter ist es nicht mehr wichtig, die erste am Morgen und der letzte am Abend zu sein. Nur wenn Du die Würde authentisch vorlebt, vermittelst du Perspektive und Sinn und wirst MitstreiterInnen, andere Hochleistungsmenschen und NachfolgerInnen finden und halten können.

(c) Mathias Raths


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Sapere Aude? | Mathias Raths | Magazin Karatewerkstatt | zum Artikel
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